Madness


Richard Wathen, Morbid Jealousy, 2014, oil on linen over aluminium panel
61 x 50cm

Galerie im Park Bremen
Opening: October 13, 2019
Until February 16, 2020

Curated by Uwe Goldenstein

Per Morten Abrahamsen, Teodora Axente, Christian Fogarolli, Simone Haack,
Sergiu Toma, Richard Wathen, Karina Wisniewska


Filmbeitrag titel – thesen – temperamente, ARD
Press, taz, 18.10.2019. Open article here
Press, Kreiszeitung, 12.10.2019. Open article here
Press, Weser Kurier, 11.10.2019. Open article here


Christian Fogarolli, In Green, 2018, installation, balance, lens, archive photo
stones, steel, UV light, 220 x 17 x 20cm. Courtesy: Galerie Mazzoli, Berlin


Per Morten Abrahamsen, Kasper Eistrup, 2012/2018, 40 x 30cm, archival
ink on Baryta, edition of 10, framed


Galerie im Park, Bremen

Madness. Eröffnungsrede von Dr. Rainer Bessling

Den Impuls zum Projekt gab eine historische Legende. Der italienische Künstler Christian Fogarolli stieß auf Bilder aus dem 16. Jahrhundert, in denen die Entfernung eines „Stone of Madness“, eines Steins des Wahnsinns, thematisiert wird. Hieronymus Bosch etwa karikiert in seinem Gemälde zum Motiv die Vorstellung, mit der Extraktion eines Steines aus dem Kopf des Kranken eine Geistesstörung heilen zu können. Die gefundenen Bilder zum Thema fügen sich in das Interessengebiet von Fogarolli. Der Künstler befasst sich mit dem Wechselwirkungen von Kunst und Wissenschaft, wobei sich sein Hauptaugenmerk auf Psychiatrie und Psychologie richtet. In seiner historischen Recherche besuchte er verschiedene ehemalige psychiatrische Einrichtungen seines Heimatlandes und beschäftigte sich mit der Psychiatrie-Kritik und Psychiatrie-Reform, in der Italien bereits früh Fortschritte bei der Überwindung des klinischen Zwangssystems auf den Weg brachte.

Mit der Schließung der Anstalten ist das Thema allerdings nicht erledigt. Für Fogarolli besteht das Problem grundsätzlicher in der Zuschreibung und Definition. Er problematisiert den Begriff Krankheit für einen Zustand, der seiner Auffassung nach eine bestimmte Verhaltensausprägung darstellt. Mit dem Krankheitsbegriff, so sein skeptischer Ansatz, wird ein komplexes System von Diagnostik, Institutionen und Therapie in Stellung gebracht, das nicht nur Schutzraum und Heilungsklima verspricht, sondern das den Betroffenen auch einem asymmetrischen Machtverhältnis aussetzt, tendenziell auszugrenzen und zu stigmatisieren droht, weil er nicht in ein rationales Verwertungssystem passt.

Mit seinen Objekten und Installationen, die um den „Stone of Madness“ kreisen, rückt Fogarolli bildhaft wissenschaftliche Vorstellungen in den Blick, die glauben Ursache und Zentrum psychischer Auffälligkeiten organisch verorten und entsprechend behandeln zu können. Der Künstler verweist objekthaft auf Instrumente von Forschung und Diagnostik und wirft damit ein analytisches Grundproblem auf: Wirkt die Wissenschaft nicht durch ihr spezifisches Verfahren am Krankheitsbild mit? Fogarolli lenkt damit die Aufmerksamkeit auf eine Debatte, die auch gegenwärtig im Zuge der Gehirnforschung und Genetik um das Thema Diagnostik in der Psychiatrie geführt wird: Ist der Blick vielleicht sogar noch stärker und konsequenter auf die organische Konstitution zu lenken oder ist das psychische System viel zu komplex, um es allein auf körperliche Faktoren reduzieren zu können?

Die Ausstellung kann diese vielfältige und kontroverse Debatte nur andeutungsweise thematisieren. Mit den Verweisen auf Psychiatriereformen in Italien und auch Bremen, in denen insbesondere geschlossene Anstalten und Zwangsmaßnahmen in den Fokus gerieten, ist ein historischer Anknüpfungspunkt gesetzt und die Frage aufgeworfen, wie sich die aktuelle Situation darstellt. Wie hat sich der institutionelle Rahmen verändert, aber vor allem auch: wie ist unser Blick auf Betroffene und das System der Behandlung? Sollte nicht auch heute weiter daran gearbeitet werden, Therapie ambulant in der Lebenswelt der Patienten durchzuführen und diese nicht aus dem sozialen und wirtschaftlichen Kontext herausfallen zu lassen? Sind dafür vielleicht eine andere Vorstellung und eine andere Haltung gegenüber menschlichen Verhaltensweisen notwendig, die weniger von Ordnungsmustern und sozial-ökonomischen Kategorien als vom Individuum ausgehen? Und gerade da, in der Wahrnehmung und Identifizierung, also in unserem Blick und Bewusstsein, kommt die Kunst ins Spiel.

Kurator Uwe Goldenstein hat für diese Ausstellung um die Position von Fogarolli und das Themenfeld der Psychiatrie-Reform und -Debatte Künstlerinnen und Künstler versammelt, die sich in der Mehrzahl mit dem Bildnis des Menschen befassen. In figürlichem Zugriff sind in diesen malerischen und fotografischen Porträts sowohl das Erscheinungsbild als auch der Blick selbst zum Thema gemacht. Figürlichkeit ist dabei nicht mit Realismus zu verwechseln, denn die Bilder reproduzieren nicht, sondern problematisieren gerade Bestand und Begriff der Wirklichkeit. Der Betrachter wird mit Ambivalenzen, Verschiebungen und Grenzzuständen konfrontiert, die ihn irritieren und zu einer Befragung seiner Blickfunde und seines eigenen Standortes herausfordern. Kunst tritt hier in einer ihrer vorzüglichsten Funktionen auf, und zwar in der Verrückung von Konventionen und damit in einer kritischen Beleuchtung geläufiger Begriffe und Ordnungskategorien.

Gleich in direkter Nachbarschaft zu Fogarollis Objekten hängen fotografische Arbeiten der Schweizerin Karina Wisniewska, die nicht die menschliche Gestalt erfassen, sondern die Wahrnehmung, den Blick selbst. Zu sehen sind schemenhaft Landschaftsausschnitte. Sie stellen keine besonderen Orte da, da ist ein Weg im Wald, dort eine Horizontlinie mit Baumwipfeln, in einer anderen Aufnahme eine dichte Formation von Baumstämmen. Ihren spezifischen bildhaften Ausdruck gewinnen die Darstellungen durch die Auflösung der Konturen. Die Linien sind in tropfenartige Gebilde transformiert, die Dinge gleiten in den Raum hinein, Objekte sind nicht genau abgrenzbar und damit unterscheidbar und identifizierbar. Alles ist in Bewegung und im Fluss, zwischen amorpher Stofflichkeit und Gestalt.
Unschärfen gehören bekanntermaßen lange schon zum Repertoire der Kunst, bei Karina Wisniewska sind es nicht bloße Bewegungsspuren und malerische Verwischungen, sondern vielschichtige Verschiebungen, die eine besondere Materialität in das Bild ziehen lassen. Körperlichkeit und Zeitlichkeit sprechen aus den Bildern, ein Strom wird sinnfällig, der an den vitalen Puls alles organischen Daseins denken lässt. Wir befinden uns in ständiger Organisation und Reorganisation, Materie erneuert sich permanent, Vergangenheit und Zukunftsausrichtung konstituieren die Gegenwart. So ist auch unserer Blick Veränderungen ausgesetzt, Koordinaten können wegbrechen, wir sind herausgefordert, in Bewegung zu bleiben. Mit diesen Schatten- und Schemen-Bildern lösen sich nicht nur die Konturen der Dinge auf, auch unser Standpunkt gerät ins Wanken und wir können uns aufgefordert fühlen, unsere Basis neu zu justieren und unsere Navigation zu überprüfen. So ist die Wahrnehmung keine Konstante, sondern eine vielfachen manifesten und potenziellen Veränderungen ausgesetzte Variable im Zusammenspiel zwischen Objekt und Subjekt.

In unserer Abgleichung mit der Umwelt, der Koordination mit unserer Umgebung und damit für unsere Orientierung spielen die Gesichter der Mitmenschen eine zentrale Rolle. Wir richten unser Verhalten an der Einschätzung unseres Gegenüber aus, wir schauen in die Augen, um einen Blick ins das Innere zu werfen, wir versuchen aus der Mundstellung Lippenbewegungen und damit Nachrichten zu erschließen. Wir versuchen nicht nur ein starres Bild zu erfassen, sondern ein lebendiges Gegenüber, das mit uns kommuniziert, das Blicke aussendet und unsere eigenen Blicke erwidert. In der Tendenz versuchen wir eigene Sicherheit und Bestätigung im anderen zu finden, zumindest Signale, die uns zuverlässig agieren lassen können. Dafür bemühen wir uns vor allem, die Identität und Individualität des anderen erkennen. Seit den Anfängen dieser zentralen Bildgattung hat das Porträt versucht, das Wesen des Individuums darzustellen, das Innere an der äußeren Erscheinung ablesbar zu machen. Doch spätestens mit der Psychoanalyse sind die Versuche problematisch geworden, die Tiefe des Menschen durch sein Auftreten und seine Repräsentation erfassen zu können. Und durch die Möglichkeiten der neuen bildgebenden Verfahren, das Erscheinungsbild zu manipulieren, sind erst recht Porträts zur Erschließung der Persönlichkeit fragwürdig geworden. In diesem Themenkomplex sind die Bilder dieser Ausstellung anzusiedeln. Dabei fächern Richard Wathen, Teodora Axente, Sergiu Toma und Simone Haack mit verwandten, aber doch jeweils ganz eigenständigen Beiträgen ein äußerst spannendes Spektrum zum Bildnisthema auf. Der Ausstellungsparcours ermöglicht sowohl den konzentrierten Blick auf das Einzelbild, inszeniert aber auch geschickt über Blickachsen anregende Korrespondenzen.
Simone Haack und Richard Wathen verfahren nach dem gleichen Grundprinzip. Ihre Bildnisse repräsentieren nicht eine bestimmte Person, vielmehr setzen sie sich aus verschiedenen fiktiven Elementen eines Porträts zusammen, gesehene oder imaginierte Bestandteile eines Gesichts, die sich zu einer Bildniscollage fügen, die von Kontrasten und Reibungen geprägt ist. Die Maler platzieren ihre Protagonisten in ortlose Räume, in denen ein meist monochromes Kolorit für eine ruhige, unbestimmte, von innen magisch lodernde Atmosphäre sorgt. Hierbei geht es weniger um die Komposition eines Idealbildes, das dem Ausdruck eines bestimmten Gemütszustands oder der Repräsentation eines bestimmten Charakterzuges dient, sondern vielmehr um die Herausforderung des Repräsentationsgedankens und der Vorstellung eines integren Individuums. Woraus setzt sich eine Person zusammen? Worauf gründen die Identität und Persönlichkeit eines Menschen? Was ist Maske, was Offenbarung? Wie lässt sich die dargestellte Person als Individuum identifizieren, das heißt von anderen unterscheiden? Was trägt sie von ihrem Wesen nach außen? Und nicht zuletzt: Wie setzen wir als Betrachter und Gegenüber die Sehdaten zusammen und wie erschaffen wir mit unserem integrierenden Blick ein Bild vom anderen? Ist dieses verlässlich oder Trug, am Ende Projektion unseres Verständnisses?

Richard Wathen bewegt sich mit seinen fiktionalen Porträts zwischen den Epochen und damit auf verschiedenen Wirklichkeitsebenen. Im malerischen Duktus und Klima, in der formalen Anlage des Porträts, nicht zuletzt in den Kostümen und in der Farbigkeit greift er historische Anleihen, viktorianische Zeit, Renaissance, auf. Die Gesichter allerdings erscheinen eher heutig, Brit-Pop-Antlitze mit einem tendenziell neutralen Ausdruck, der kaum Einblicke in das Gemütsleben und Wesen gewährt. Die Augen sind unbewegt und auch das Mienenspiel ist stillgestellt. Die androgynen Figuren, die im Alter Heranwachsender zu sein scheinen und damit zwischen den Lebensepochen wandeln, die auf der Suche nach sich selbst sind und mit Orientierung befasst, wirken verschlossen und verkapselt. Und doch meinen wir als Betrachter Aufwühlung hinter der bleichen Haut erspüren zu können, eine Durchlässigkeit, eine Schutzlosigkeit und zugleich Temperamente, die unbeherrschbar ausbrechen, die sich ein Ventil suchen könnten. Es herrscht eine Ruhe vor einem ungewissen Sturm. Ein Porträt weist über den Titel, aber auch in der Darstellung eine psychische Auffälligkeit des Protagonisten aus: Trichotillomanie, den Zwang, sich Haare auszureißen, der besonders bei Jugendlichen auftaucht. Ein anderes Bild verweist im Titel auf „krankhafte Eifersucht“. Wir sehen eine verschlossene, aber mit auffällig präsenten Augen auftretende Person, die Kleidung mit skizzenhaft angedeuteten Streifen trägt, ein Wink zur möglichen Straffälligkeit aber auch zum Gefängnis, in dem die Protagonistin mit ihrer Gefühlsfixierung steckt.
Wathens Porträts sind ebenso eindringlich wie distanziert, energetisch wie kühl, elegant wie anarchisch. Gerade die Ruhigstellung sorgt für Aufladung, gerade das Pendeln zwischen den Epochen lässt die Dargestellten aus Raum und Zeit fallen und fordert ihre Identifizierung als Einzel- und Ausnahmewesen zwischen den Welten heraus. Gerade die eingefrorene Körperlichkeit sorgt für physische Präsenz und Seelenrätsel. Eben weil diese Zwischen- und Mischwesen sich wie stumme isolierte Monaden entziehen und verweigern, scheinen wir als Betrachter umso mehr gefordert.

Simone Haack liefert ein programmatisches Bild zur Ausstellung, das nicht zufällig als Augenfang für den Flyer dient. Darin sehen wir vier Personen, mutmaßlich zwei Zwillingspaare oder ein Zwillingspaar in verschiedenen Altersstufen oder vielleicht einen vervierfachten Jungen, künstliche Klone aus der Retorte – es ist letztlich nicht sicher zu entscheiden. Und genau diese Ambivalenz sorgt für Unbehagen. Wir suchen gerade im differenzierende Abgleich mit anderen die Merkmale des Individuums. Was aber, wenn sich diese Unterscheidung nicht herstellen lässt, wenn wir es mit Doppelgängern zu tun haben, wenn die selben Personen in verschiedenen oder parallelen Welten leben. Die Malerin verstärkt das Erschrecken und die Unsicherheit, die dieses Quartett auslöst, durch die Lichtführung. Das Licht kommt von unten und strahlt das Gesicht geheimnisvoll an. Wir befinden uns damit in einem Zwielicht, in dem das Helle nicht zur Klärung sorgt, sondern grell Künstlichkeit befördert.

Simone Haacks Porträts verweigern nicht nur die Repräsentation eines Individuums, sie stellen auch die Wahrnehmung einer persönlichen Identität in Frage. Die Protagonisten sind in Zwischenwelten positioniert, sie verschmelzen häufig mit den Räumen, Grenzen verschieben sich, ihr Ausdruck ist nicht auslegbar, sie unterwandern eine Klarstellung und Fixierung. Mit dem anfangs angesprochenen Quartett variiert die Malerin das von ihr häufig aufgegriffene Zwillingsthema, mit dem sich die Frage nach Anlage und Erlernen, nach früher Prägung und persönlicher Freiheit verbindet. Auch die Zeichnung „Sippe“, die Ähnlichkeit und Eigenheit thematisiert, gehört in diesen Kontext. Und auch das Bild „Milk“ umkreist nicht ohne Humor in einer fast absurden Szenerie das Motiv. Dabei wird deutlich. dass es der Künstlerin nicht um die Illustration eines erzählerischen Inhaltes geht, sondern dass sich sie häufig formal inspirieren und leiten lässt. Die Figurengruppe fügt sich um eine Achse zu pyramidaler Mutter-Kind-Harmonie. Die Protagonisten, ihre Körper, ihre Haarschöpfe bilden einen ornamentalen Zusammenhang und ein rhythmisches Gebilde aus. Farbe und Form generieren hier Bedeutung und lassen diese auf die Inhalte Mutter-Kind-Symbiose und Zwillingspaar ausstrahlen.
Auch das Bild eines Mädchens, das sich mit gesenktem Kopf und nach innen gekehrtem Blick in einem dichten Umhang abzuschotten scheint, ist stark formal geprägt. Wir erkennen eine dunkle Dreiecksform wie einen Fels, aus dem das Gesicht zart und zerbrechlich herauswächst. Der spezifische schraffierende, fast webende Zeichenstrich, den die Künstlerin verwendet, lässt die Dargestellte wie in einem Fell erscheinen, ein Wink auf eine animalische Spur und damit eine Existenzseite, die das Mädchen ungreifbarer und fremder werden lässt. Gesicht und Felljacke bauen einen Kontrast aus hell und dunkel, aus Tag- und Nachtseite auf, der die Ambivalenz und Magie der Person verstärkt. Das helle Gesicht wirkt bleich, verletzlich und schutzlos, es konfrontiert uns schmerz- und schamhaft mit unserem eindringenden und ausforschenden Blick. In einem anderen Porträt verbirgt das dargestellte Mädchen die Hälfte des Gesichts mit ihrem eigenen Haar, eine ungemein intim, leiblich und fragil wirkende Schutzgeste, die das offen liegende Auge umso präsenter macht, es einerseits umso mehr fragend sprechen lässt, andererseits aber das Geheimnis der Person verstärkt. Simone Haacks Bilder erzeugen nicht zuletzt durch die malerische Brillanz einen umgemeinen Sog und zugleich behaupten ihre Protagonisten eine berührende Distanz. Wir sind fasziniert von diesen zugleich kühlen und lodernden hybriden Existenzen und doch bleiben sie uns fremd, weil sie sich nicht in unsere Sehweisen eingemeinden lassen. Wir identifizieren in ihnen eine rätselhafte Einzigartigkeit und damit verbunden eine tiefe Einsamkeit. Liegt ihre Identität am Ende vor allem in ihrer Isolation?

Mit Teodora Axente und Sergiu Toma sind zwei Repräsentanten der viel beachteten rumänischen Malerei-Schule von Cluj in der Ausstellung vertreten. Beide kennzeichnet ein hohes malerisches Können und historische Informiertheit bei der Suche nach einer Fortführung des Malerei-Erbes und der Gewinnung einer eigenständigen Position. Teodora Axente rückt sich meist selbst ins Bild und bettet dabei ihr stilisiertes Selbstporträt in einen üppig ausstaffierten Raum ein. Das hier ausgestellte Bild zeigt die Protagonistin umgeben und eingehüllt in schwere Stoffe. Tücher, Teppiche, Vorhänge und Kleider dienten den Malern der Kunstgeschichte zum Nachweis ihres plastischen mimetischen Modulationsgeschicks und ihrer koloristischen Meisterschaft. Bei Axente repräsentieren die Stoffe im Raum die materielle Seite des Daseins, das die Person abschirmt, schützt und verdeckt, das sie fast verschwinden lässt in einer Welt der Oberflächen und Hüllen, die unser Auge und Bewusstsein beherrschen. Das collagenartig zusammengesetzte, fragmentiert wirkende Individuum erscheint bedrängt in einem Kosmos der Zeichen und Ornamente, die eine mysteriöse spirituelle Aufladung des Daseins beschwören.
In dieser materiell und physisch geprägten Existenz wirkt der Mensch beladen und verloren, sein geistiges Vermögen eingekerkert. Mit der weißen Katze, die Axentes Alter Ego auf dem Schoß hält, rückt eine animalische Note im Unschuldsgewand ins Bild, bei der sich Haustierzierde und ungezähmte Raubtiermanier die Waage halten. Dieses nicht Domestizierbare und Unergründliche färbt ab auf die Dargestellte, die mit ihrem rätselhaften, halb erschrockenen, halb erstaunten Puppengesicht maskenhaft das tief verborgene Zentrum des Bildes darstellt. Axentes Bildniskunst ist ebenso meisterhaft wie tiefgründig und irritierend, ebenso delikat wie desaströs. Sie zitiert Ikonen der Kunstgeschichte, findet aber in ihrer stofflich bestimmten Malerei einen ungemein aktuell wirkenden Zugriff auf Fassaden- und Fakeaspekte in den bildlichen Repräsentationen der Gegenwart.

Sergiu Toma baut erzählerische Ereignisräume, die in einem nächtlichen Dunkel angesiedelt sind und schon damit die Assoziation zu Traumszenen wecken. Seine Protagonisten – häufig stellt auch er sich selbst ins Bild – sind mit den Orten verschweißt, die mit symbolhaften Requisiten ausgestattet sind. Fragmenthafte oder ruinös wirkende Architekturen und Landschaften im Off verschränken sich zu typischen Traumschauplätzen, in denen Versatzstücke gesehener und durchlebter Räume in einer schwerelosen Präsenz wiederkehren. In diesen gestisch bewegten, aus Hell und Dunkel modellierten Räumen agieren die Personen wie ferngesteuerte Wiedergänger oder erstarren, erkennend, aber zur Passivität verurteilt. Es sind die Stunden der traumhaften Erinnerung, in der das Vergangene aufscheint, in überraschend neue komplexe Geschichten, in Parallelwelten gleitet, um aus erschütternder Klarheit alsbald in dämmrige Trübnis umzukippen. In dieses prekäre Zusammenspiel zwischen Räumen und Protagonisten, Fakten und Fiktionen hat Toma breite Bewegungsspuren eingezogen, die den Zeitstrahl repräsentieren. Auf diesen Bahnen fliegt die Zeit durch den Raum, verschweißt die Epochen, trägt das Gepäck der Vergangenheit in die Zukunft, nimmt den Menschen mit oder lässt ihn zurück, lässt ihn seinen Blick zurückwerfen oder nach vorn richten. Im Traum begegnet der Mensch seiner geschichtlichen Existenz, den tief verwurzelten Nachwirkungen seines Erlebens. Die Kraft dieses mal unscharfen, mal bestürzend klaren Erinnerns ist gewaltig. Wir werden dabei der Macht unseres Innenlebens gewahr, das unterhalb unserer Kontrolle unser Ich formt und unser Verhalten lenkt. Toma hat für diese Erinnerungs- und erstaunlich eigenschöpferische Projektionswelt eine faszinierende Bildsprache gefunden, die zwischen einem magischen Realismus, surrealen Kompositionen und abstrahierten symbolhaften Farb- und Formereignissen oszilliert. Gerade diese schillernde Figuration macht den Druck innerer und äußerer Ereignisse sinnfällig, unter dem sich personelle Identität und Integrität aufzulösen drohen.
Schließlich ist da noch die zweite fotografische Position der Ausstellung: Per Morten Abrahamsen. Der Däne zählt zu den renommiertesten Fotokünstlern seines Landes. Sein Ansehen lässt sich daran ablesen, dass
die künstlerische und gesellschaftliche Prominenz Dänemarks vor seine Kamera kommt. Selbst ein Lars von Trier lässt sich von ihm ablichten. Dabei erwarten die Porträtierten keine bequemen Fotosessions. Sie dürfen davon ausgehen, dass es dem Fotografen nicht darum geht, sie von einer vordergründig vorteilhaften Seite zu zeigen. Sie können nicht posieren, sondern müssen auf schonungslose Impulse reagieren. Abrahamsen ist durch seine Radikalität bekannt. Er führt die abgelichteten Personen an Grenzsituationen, konfrontiert sie mit Ausnahmeerfahrungen, inszeniert extreme Gefühlsmomente und leibliche Zumutungen. Seine Aufnahmen sind eminent physisch. Der Körper gerät außer Kontrolle und stülpt expressiv ein aufgewühltes Innenleben nach außen. Nichts erscheint in diesen Aufnahmen normal und doch wirken die Protagonisten ganz nahe bei sich, und zwar ganz bei ihren grundlegenden Emotionen und Affekten, bei tiefsten Erfahrungen, bei Schmerz, Lust, Angst, Hingabe, Leid, Liebe, Aggression.

In zwei Dioramen, menschenkundliche Schauräume in kunstvoll verschachtelten Ebenen, zeigt Abrahamsen zwei der reichsten dänischen Familien. Die Aufnahmen sind alles andere als geläufige Familienporträts. Es herrscht Chaos in diesen Interieurs: Aggressivität, Triebe prägen die Szenen. Die Darstellungen wirken inszeniert, es mag dem Selbstverständnis der Protagonisten schmeicheln, sich unkonventionell zu zeigen, sich artifiziell zu offenbaren. Dennoch bringen die Aufnahmen Abgründe vermeintlicher Familienidyllen ans Tageslicht. In der Serie „Plastik“ konfrontiert der Fotograf die Porträtierten mit einer äußerst bedrängenden Situation. Ihr Kopf befindet sich in einer mit Wasser gefüllten Plastiktüte. Die Gesichter bekannter dänischer Schauspieler unter anderem aus dem Dogma-Kreis sind verzerrt, nicht nur durch das Wasser, sondern auch durch die unausweichlich in dieser existenzbedrohlichen Lage auftretenden Empfindungen. Der Betrachter kann unterschiedliche Assoziationen entwickeln: den Gedanken an Suizid, an einen besonders perfiden Mord. Ausnahme ist bei Abrahamsen die Norm, der Mensch agiert in seiner chaotischen und von Kontrollverlust bedrohten Verfassung auf Grenzbezirken. Gesellschaftliche Ordnung wirkt angesichts dessen als ein labiles System, dem sich nicht jeder gleichermaßen einfügen lässt. In Anknüpfung an Fogarollis Diktum ist vermeintlicher Wahnsinn nur eine Variante im faktischen menschlichen Verhaltensspektrum und Gefühlshaushalt. Kunst ist ein Feld, auf dem sich Toleranz gegenüber Auffälligkeit und Abweichung lernen lässt, auf dem sich Grenzgänge als Lehrstücke über die weite Wirklichkeit des Daseins lesen lassen.